
Wenn Freundschaft alle Grenzen überwinden könnte, wie weit würdest du gehen? Als ihre beste Freundin Hazel stirbt, bricht Lexis Welt zusammen. Und dann erscheint ihr auch noch Hazels Geist! Lexi beschließt, ihr in die Geisterwelt zu folgen, um sich endgültig zu verabschieden. Doch als Lebende hat sie dort wenig verloren. Ihr Seelenlicht zieht schnell die Aufmerksamkeit dunkler Mächte auf sich. Plötzlich steht nicht nur ihre Freundschaft auf dem Spiel, sondern das Schicksal beider Welten.
- Auflage: 1 (27.März 2024)
- Autor: Katy J. Michels
- Sprache: Deutsch
- Taschenbuch: ca 360 Seiten
- Empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
- Größe: 12,5 x 19 cm
Hazel
London, Greenwich
»Jetzt macht schon!«
Der warnende Piepton schnitt in ihre Ohren, als ihr Finger
das falsche Feld drückte. Das Display flackerte rot auf und
Hazel zuckte zusammen. »Verdammt, Jake! Hör auf, mich zu
stressen! Ich kann das nicht, wenn du mir auf der Pelle hängst.
Wegen dir löse ich noch den Alarm aus.«
»Aber er hat recht«, erklang es neben ihr.
Hazel hob den Kopf. Sie warf ihrer besten Freundin, die
sich in einer eleganten Bewegung von der Wand abstieß und
einen Schritt auf sie zumachte, einen finsteren Blick zu. Na
wunderbar! Jetzt fiel Lexi ihr auch noch in den Rücken. Das
blasse Gesicht, das von langen haselnussbraunen Haarsträhnen
eingerahmt wurde, wirkte angespannt. Missmutig schaute
Hazel ihr entgegen. Ein Starren, dem Lexi mit dem herausfor-
dernden Funkeln ihrer sturmblauen Augen und dem vielsa-
genden Anheben ihres Smartphones begegnete, auf dem ein
Timer rücksichtslos heruntertickte. So wenig Zeit blieb ihr
noch? Hazel schluckte und sah von den Zahlen weg, die viel
zu schnell davoneilten.
Plötzlich zitterten ihre Finger. Wie sollte sie das nur schaf-
fen? Vor allem, wenn alle anderen offenbar an ihr zweifelten,
bevor sie es überhaupt richtig versucht hatte? War ja nicht so,
dass sie nicht schon ihr Bestes gab. Nur mühsam gewann
Hazel ihre Ruhe zurück. Bloß nicht zeigen, wie sehr sie diese
Erkenntnis in Pänik versetzte. Wenn däs hier schiefging … Hör
auf! Daran denken, heißt scheitern. Also lass es und konzentrier
dich, verdammt noch mal! »Je mehr ihr mich unter Druck setzt,
desto weniger werde ich dieses Schloss knacken.« Ihre
Stimme klang dünn. So elendig dünn.
Lexis Mundwinkel zuckte, ehe sie unmerklich nickte und ei-
nen kurzen Blick mit Fin, dem Anführer ihrer Gang, tauschte.
Dann drehte sie ihren Kopf wieder, um den Flur zu beobach-
ten, aus dem sie gekommen waren.
Sicher bereuten Lexi und Fin es, sie als jüngstes Teammit-
glied mit dieser Aufgabe betraut zu haben. Dabei hatte sie so
viel geübt.
Hazel biss sich auf die Lippen und straffte sich. Keine
Schwäche zeigen. Sie schaffte das. Das Vertrauen in sie war
gerechtfertigt. Also musste sie diesen bescheuerten Zugang
endlich öffnen.
Betont lässig strich sich Hazel eine Haarsträhne, die ihr im-
mer wieder die Sicht raubte, aus der Stirn.
Erneut wandte sie sich dem Sicherheitsschloss zu und blies
langsam die Luft aus den Lungen. Nur die Ruhe.
Vergeblich versuchte sie, ihre Finger unter Kontrolle zu be-
kommen. Es konnte doch nicht so schwer sein, diese achtstel-
lige PIN einzugeben.
Hazel starrte das Tastaturfeld an, klemmte die Zunge an die
obere Zahnreihe und hielt den Atem an. Jetzt nur keine Bewe-
gung zu viel. Das war ihr letzter Versuch, bevor das System
automatisch den Alarm auslöste. Ihre Hand schwebte über
den Zahlen. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, tippte
sie die Kombination ein. Ihr Herz hämmerte im Takt dazu.
7-1-3-5-6-3-4-7.
Nichts. Das Bedienfeld glühte noch immer in diesem unheil-
vollen Rot. Hazel spannte sich an, während ihr Magen rebel-
lierte. Als sie die Sirene beinahe schon in ihren Ohren schrillen
hörte, sprang das Bedienfeld doch noch auf Grün und es
klickte. Der Bolzen im Inneren des Mechanismus schnappte
zur Seite. Ein leises Summen gab die Tür frei und Hazel atmete
erleichtert aus. Vor ihren Augen tanzten schwarze Flecken.
Noch eine Sekunde länger und sie wäre vor Angst gestorben.
Ganz sicher!
»Gut gemacht.« Ein roter Haarschopf schob sich neben sie.
Zwischen den halblangen Strähnen, die wirr in das Gesicht
hingen, zwinkerte Fin sie anerkennend an.
Hitze breitete sich auf Hazels Wangen aus. Verlegen lächelte
sie und rieb sich den Nacken. Dass das jetzt ausgerechnet von
ihm kam. Normalerweise war er der Letzte, der ein nettes
Wort für die Leistung anderer übrighatte – vor allem für ihre.
»Dänke …«
Ihre Stimme war kaum zu hören. Hazel räusperte sich und
wischte das Haar hinter ihre Ohren, um sich zu sammeln.
Wenn sie Glück hatte, dann bemerkte niemand, wie sehr sie
dieses Lob gerade aus dem Konzept brachte. Das war das
Letzte, was sie gebrauchen konnte. Jake suchte sowieso schon
ständig neue Möglichkeiten, sie bloßzustellen. Da durfte sie
nicht zeigen, dass sie mit zu viel Aufmerksamkeit nicht gut
umgehen konnte.
Fin trat an Hazel vorbei und stieß die Tür auf. Hazels Glie-
der bebten mittlerweile unkontrolliert. Das hier war eine
Nummer zu groß für sie. Wieso hatte sie sich darauf eingelas-
sen? Weil sie unbedingt mitwollte? Weil sie ihre Freunde so
lange genervt hatte, bis sie endlich Ja gesagt hatten, und dazu-
gehören wollte? Jetzt im Nachhinein kam ihr dieser Wunsch
vollkommen bescheuert vor.
Noch einmal starrte sie auf das Schloss. Irgendjemand
drängte sie durch die Tür ins Innere.
Drinnen! Sie waren wirklich drin!
Fin zögerte, ehe er sich umdrehte und jeden von ihnen ernst
musterte. »Wir haben zehn Minuten, bis unser Zeitfenster für
den Auftrag endet. Ihr wisst, was das bedeutet.«
Hinter ihr schnalzte jemand. Der Laut klang eindeutig un-
willig. Fast stolperte Hazel über ihre eigenen Füße, als eine
schmale Gestalt sie unsanft zur Seite schob und sich an ihr
vorbeizwängte. Jakes Mimik wirkte genauso blasiert wie im-
mer, als er sich in dem vollgestellten Lagerraum umblickte.
Auch Hazel schaute sich um. Drei lange Regalreihen standen
dicht an dicht bis zum hinteren Ende aneinander. Die Metall-
fächer quollen über vor sperrigen Kisten in allerlei Größen.
Bis unter die Decke reichte dieser Wald aus Pappe. Der Waren-
wert musste in die Zehntausende gehen. Wieder schnaufte Jake
übertrieben laut. »Können wir jetzt endlich anfangen? Sie hat
eh schon zu viel Zeit verschwendet. Ich hätte halb so lang
gebraucht.«
Hazel biss sich auf die Lippe. Sie hatte sich doch so bemüht.
»Wir schaffen das schon. Es ist noch genügend Zeit übrig.«
Jakes ungewöhnlich weite Pupillen fixierten sie ungnädig.
»Ach, halt doch die Klappe, Brownie! Du weißt genau, dass wir
die nicht haben. Wenn wir auffliegen, dann nur deinetwegen!
Wegen deiner Unfähigkeit sind wir so langsam vorangekom-
men. Du hast es nicht drauf und jetzt haben wir den Salat.«
Hazel zuckte zurück. Aus seinem Mund taten die Worte
umso mehr weh und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Trä-
nen in die Augen schossen.
Ein Schatten schnellte nach vorn. Lexis Finger gruben sich in
Jakes hellen Zopf und sie riss seinen Kopf grob zurück. »Ent-
schuldige dich! Sofort! Sie hat ihre Zeit vom letzten Mal fast
um eine halbe Minute unterboten. Also hör auf, deinen Frust
an ihr auszulassen. Wenn du mit deinem armseligen Leben
unzufrieden bist, dann such dir jemanden, dem du gewachsen
bist. Nenn sie noch einmal so und ich sorg dafür, dass dein
nächster Trip dein letzter war, verstanden?«
Jake funkelte erst Lexi und danach Hazel hasserfüllt an.
Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Ein Zeichen dafür,
dass seine Dosis Amphetamine zu lange her war. Abwehrend
hob er die Hände, lächelte dünn und riss sich los. »Ja, schon
gut. Wär nich’ so gemeint.«
Hazel fühlte sich plötzlich müde. »Lass gut sein, Lexi.« Hatte
sie wirklich geglaubt, dass Jakes Verhalten sich ihr gegenüber
ändern würde, wenn sie das hier hinbekäme?
Mit einem Mal flog hinter ihnen die Tür auf und knallte mit
einem Krachen gegen die Wand.
»Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht unsere kleine
Versagertruppe aus Lewisham ist!«
Hazel zuckte zusammen. Voller Angst blickte sie dem hoch-
gewachsenen Jungen entgegen. Seine halblangen schwarzen
Haare lugten unter einem Käppi hervor und umrahmten sein
bulliges Gesicht wie ein Wischmob. Auf seiner Bomberjacke
war eine sich aufbäumende Schlange mit aufgerissenem Maul
abgebildet, die den Betrachter anzugreifen schien.
Aber die Schlange jagte ihr keinen Schreck ein. Sie prangte
als Erkennungszeichen überall in diesem Viertel. Für das
Klappmesser, das gerade in seiner Hand aufschnappte, galt
das allerdings nicht. Eine Geste, die nicht bedrohlicher wirken
konnte, vor allem, weil hinter ihm weitere seiner Freunde in
den Raum strömten. »Wie oft haben wir euch gesagt, ihr sollt
in eurem mickrigen Teil der Stadt bleiben, eh?«
»Oh, scheiße! Die Razors!«, rief Lexi.
»Haut ab! Raus hier! Raus!« Das kam von Fin.
Jakes Karomantel flatterte durch Hazels Sichtfeld, als er hin-
ter irgendeinem der Regale verschwand. Auch Lexi und Fin
machten sich aus dem Staub.
Nur Hazel stand wie angewurzelt am Fleck.
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Die anderen konnten sie nicht hier allein lassen!
Ein Mädel mit Nasenpiercing ließ die Fäuste unmissverständ-
lich gegeneinanderprallen und kam auf sie zu. Ein Schlagring
blitzte auf. Erst in diesem Moment kehrte der Tatendrang in
Hazels Glieder zurück. Sie musste hier weg – und zwar sofort!
Blindlings rannte sie los. So schnell sie konnte, stob sie
durch die engen Gassen aus Elektronik- und Computerzube-
hör, das sie hatten stehlen wollen. Vielleicht konnte sie sich
irgendwo verstecken.
Neben und hinter ihr erklangen polternde Schritte. Viel zu
nah!
»Komm spielen, Süße! Wenn du dich stellst, drücken wir
vielleicht ein Auge zu.«
Hazel gab einen wimmernden Laut von sich. Das war eine
Lüge. Sie konnte froh sein, wenn die sie nur verprügelten. Ihr
wurde eiskalt. Was, wenn sie genauso endete wie das Mäd-
chen, das sie vor zwei Wochen aus der Themse gefischt hat-
ten? Näckt und … Häzel beschleunigte ihre Schritte, versuchte
die Schlagzeilen aus der Zeitung, die in ihrer Erinnerung
emporkrochen, aus ihrem Kopf zu verbannen. Folter. Vergewal-
tigung. Am Ende Tod. Die Angst wurde mit einem Mal über-
mächtig. Sie hätte sich nicht für diese Aktion melden sollen!
Schluchzend rannte Hazel um die nächste Ecke und prallte
zurück. Eine Betonwand versperrte ihr den Weg. Ihr blieb nur
der Weg nach rechts oder links. Wohin jetzt? Kurzerhand
wandte sie sich nach links.
Eine Hand packte ihren Oberarm. »Hab ich dich!«
Mit einem Aufschrei versuchte Hazel, sich loszureißen. Ver-
geblich. Der Junge mit dem Käppi hielt sie eisern fest. Schmerz
bohrte sich in die Stelle, an der schwielige Finger sie wie ein
Schraubstock umklammerten.
»Lass mich los!« Immer wieder schlug sie auf ihr Gegenüber
ein, dessen unnachgiebiger Griff sich nicht lösen wollte. Ein
Hieb in den Magen trieb ihr die Tränen in die Augen und Hazel
krümmte sich. In ihren Ohren rauschte es und sie hatte Mühe,
nicht gänzlich zusammenzusacken. Wieso tat das so weh? Ir-
gendwo entfernt klapperte etwas.
»Schnappt euch die Loser!«
Unerwartet lockerte sich die Umklammerung um ihren
Oberarm, während sie zur Seite geschoben wurde. Ihr Überle-
bensinstinkt meldete sich mit aller Macht zurück. Jetzt oder
nie. Mit einem Ruck riss Hazel sich los und sprang zurück.
Etwas Hartes rammte sich in ihre Hüfte, als sie gegen ein un-
erwartetes Hindernis stieß. Zum Schmerz in ihrem Bauch ge-
sellte sich ein weiterer und Hazel presste stöhnend die Hände
an ihre Seite. Ein Luftzug strich über ihre erhitzte Wange.
Blindlings tastete sie sich vor und suchte Halt an der glatten
Wand. Wieder streichelte eine kühle Brise über ihre Haut und
trocknete die Tränen, die darüber rannen. Blinzelnd ver-
suchte Hazel, mehr zu erkennen. Eine helle Öffnung befand
sich wenige Schritte neben ihr. Ein Fenster! Vielleicht konnte
sie so entkommen. Hastig bewegte sie sich in die Richtung und
griff nach dem Fenstersims, der sich wie ein Rettungsanker
unter ihre Finger schmiegte.
Die Angst verlieh ihr Flügel und sie beugte sich nach vorn,
stieß die Glasflügel auf. Irgendwo musste es weitergehen. Das
durfte nicht das Ende sein!
Ein Arm schloss sich um ihre Hüfte und zog sie zurück. »Du
kleine Schlampe. Dich mach ich fertig!«
Verzweifelt klammerte Hazel sich an das Holz unter ihren
Fingern und trat um sich. Sie sah die blitzende Klinge kom-
men, ohne etwas dagegen tun zu können. Ein ruckartiger Stoß
traf sie in der Rippengegend, als das Messer unterhalb ihres
Herzens in ihren Körper stach. Ein unsagbarer Schmerz explo-
dierte an dieser Stelle und ließ sie zur Seite taumeln.
Ihre Welt kippte und sie prallte blind vor Qual gegen die
Kante des geöffneten Fensters. Ihre Bewegung wurde ungnä-
dig abgebremst. Orientierungslos verlor sie das Gleichgewicht
und spürte eine Hand, die ihr einen weiteren Schubs zwischen
die Schulterblätter gab. »Guten Flug.«
Kühle Luft empfing sie. Es ging alles rasend schnell. Benom-
men registrierte sie das Gefühl des freien Falls, das sie er-
fasste. Wieso?
Aus der Ferne hörte sie einen gellenden Schrei.
»Hazel! Nein!«
Die Worte hallten in ihren Ohren nach und verstummten
erst, als sie zwei Stockwerke tiefer auf dem Boden aufprallte.
Über den Autor

Als Kind fremder und ferner Welten gibt es seit dem
ersten Lesealter kein Buch, das vor der Autorin sicher ist.
Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie früh und
fasziniert seitdem ihre Leser mit düsteren und
dramatischen Geschichten im übernatürlichen Setting.
Im richtigen Leben bringt sie Kindern und Jugendlichen
als Lehrerin diese Leidenschaft zu Büchern näher.
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