eBook: Esariel - Einsame Entscheidung
-60%
„Krieg ist eine reißende Bestie. Sie findet dich, egal, wo du bist. Und sie verschlingt Himmlische und Sterbliche gleichermaßen.“
183 n. Chr. Die Wälder Germaniens sind düster und gefahrenvoll. Vor allem für die römischen Auxiliare, die der Schutzengel Esariel als Wächter in Feindesland begleitet.
Gemeinsam mit seinen Geschwistern führt er einen nicht enden wollenden Krieg gegen die Anhänger Luzifers um die Fortführung von Gottes Werk nach dessen Exodus.
Ein Kampf, der mittlerweile nur allzu oft auf dem Rücken derer ausgetragen wird, die er einst zu schützen geschworen hatte.
Noch ahnt er nicht, wie sehr die kommenden Tage seine Überzeugungen in ihren Grundfesten erschüttern werden, bis für ihn nichts mehr ist, wie es war.
Kurzroman ca. 100 Seiten
Hier im eBook - Format
Limitierte Printversion
183 n. Chr. Die Wälder Germaniens sind düster und gefahrenvoll. Vor allem für die römischen Auxiliare, die der Schutzengel Esariel als Wächter in Feindesland begleitet.
Gemeinsam mit seinen Geschwistern führt er einen nicht enden wollenden Krieg gegen die Anhänger Luzifers um die Fortführung von Gottes Werk nach dessen Exodus.
Ein Kampf, der mittlerweile nur allzu oft auf dem Rücken derer ausgetragen wird, die er einst zu schützen geschworen hatte.
Noch ahnt er nicht, wie sehr die kommenden Tage seine Überzeugungen in ihren Grundfesten erschüttern werden, bis für ihn nichts mehr ist, wie es war.
Kurzroman ca. 100 Seiten
Hier im eBook - Format
Limitierte Printversion
1. KAPITEL
Germanien, im Jahre 185 n.Chr.
Die Wälder nördlich von Castra Regina sind ein düsteres, verwachsenes Labyrinth aus Bäumen und Sträuchern, keinesfalls vergleichbar mit etwa den weiten Ebenen südlich der Alpen. Selbst jetzt, kurz vor der Mittagsstunde, dringt kaum ein Lichtstrahl durch die dichten Baumkronen herab auf den schmalen Trampelpfad, über dem ich mit mäßigem Flügelschlag schwebe.
Meine Aufmerksamkeit gilt den Auxiliaren unter mir. Männer germanischen Blutes, die für die Aussicht auf regelmäßige Mahlzeiten und Sold, sowie die Chance auf den Erhalt des römischen Bürgerrechts in die Legion eingetreten sind. Sie marschieren seit Sonnenaufgang, kommen aber auf dem schlechten Pfad nur langsam voran. Immer wieder lassen die hundertachtzig Mann der drei entsandten Zenturien nervös den Blick schweifen, was ich ihnen nicht verdenken kann.
Denn hier, nur wenige Tagesmärsche nördlich des befestigten Kastells, hat der starke Arm Roms nahezu jegliche Kraft verloren. Jederzeit können aus dem Hinterhalt die Markomannen über die Eindringlinge herfallen. Die bewährten Taktiken der römischen Armee funktionieren im Wald nur bedingt, sodass der Ausgang eines solchen Gefechts sehr wohl in der Schwebe steht.
»Irrsinn«, murmele ich leise und setze mich mit schnellen Flügelschlägen an die Spitze der Kolonne.
Anders kann man den Zweck dieser sogenannten Strafexpedition nicht bezeichnen, die nur aufgrund einiger Viehdiebstähle entsandt wurde. Einmal mehr sollen die Germanen daran erinnert werden, dass man mit dem römischen Imperium besser keine Spielchen spielt. Aber selbst wenn ein Überfall des kaum greifbaren Feindes ausbleibt, wird es Tote geben, denn der Zenturio, der die Einheit aus dem Zentrum heraus kommandiert, hat Anweisung bekommen, zur Vergeltung die erstbesten Höfe niederzubrennen, die ihm in die Quere kommen.
Wie groß die Gefahr für sie ist, weiß indes keiner der Männer unter mir. Denn es hat einen guten Grund, dass wir abgestellt wurden, diese kleine Unternehmung zu bewachen. Wir, das sind die Mitglieder von Kalethians Kriegsrotte: Der Kriegsengel Uziel, der Herold Awariel, Variel, ein Racheengel und Belian, ein weiterer Schutzengel, wie ich es auch bin. Meine Geschwister schweben ebenfalls in der Anderswelt über den römischen Soldaten und halten wachsam Ausschau. Es sind nicht die Germanen, die uns Sorgen bereiten. Denn dieser Bereich der Welt gehört zur Domäne der Anhänger Luzifers und damit laufen die Auxiliare Gefahr, von meinesgleichen abgeschlachtet zu werden, ohne auch nur die geringste Chance auf Gegenwehr zu haben.
»Esariel, warum blickst du so grimmig drein?«, dringt die glockenhelle Stimme Awariels an mein Ohr. Betont langsam wende ich mich zu dem Herold um und hebe erst dann die Schultern. »Vielleicht behagt es mir einfach nicht, blindlings in Feindesgebiet vorzustoßen?«
Mit einer weitschweifenden Geste deute ich auf das uns umgebende Dickicht. »Hier könnten ein Dutzend der Verräter lauern, aber genau so gut eine ganze Hundertschaft!«
Awariel schürzt die Lippen und folgt meiner Geste mit den Augen. »Kalethian weiß, was er tut! Glaubst du wirklich, er würde uns in eine Falle laufen lassen? Das hier ist eine gute Gelegenheit, um an der Grenze einmal mehr aufzuräumen. Du weißt genau, dass die ewige Front nahezu zum Stillstand gekommen ist! Hundertschaften an Verrätern hat es in diesem Teil der Welt schon lange nicht mehr gegeben!«
Ihre Worte tun wenig, um meine Laune aufzubessern. »Ja, hier vergibt der Erzverräter nur Lehen an die schwächsten seiner Anhänger. Es gibt kaum Sterbliche, die man beherrschen kann und kein Prestige bei großen Schlachten zu gewinnen. Ist mir alles bekannt!«
Mit einem Flügelschlag überbrückt der hübsche Herold die verbliebene Distanz zu mir und pustet sich eine Strähne ihres goldenen Haars aus dem Gesicht. Versonnen lächelnd streicht sie mir mit dem Handrücken über eine Wange. »Du denkst zu viel nach, Bruder. Wir werden schon bald einen weiteren Sieg für Michael erringen, so gering er auch sein mag. Das ist alles, was zählt!«
»Ja. Zu gering für Kalethian, um sich dazu herabzulassen, uns zu begleiten!«, schnaube ich und trauere dabei für einen Moment dem Wohlgefühl ihrer Berührung nach.
»Er hat bei Hofe zu tun, wie üblich. Freu dich doch lieber! Er vertraut uns immerhin genug, diese Angelegenheit ohne ihn zu regeln!«, raunt sie und stellt wieder Abstand zwischen uns beiden her.
Ich komme nicht umhin, mit den Augen zu rollen. »Ich frage mich ehrlich, warum er immer noch unser Anführer ist. Seit dem Sieg über Raziels Truppen verbringt er die meiste Zeit am Hofe Michaels! Fast könnte man meinen, die Politik ist ihm wichtiger geworden, als der Kampf!«
Nun verdüstert sich das hübsche Gesicht Awariels doch ein wenig. »Du bist verbittert, mein lieber Esariel! Dabei rückt der Sieg über den Lichtbringer mit jedem Jahr näher!«, erwidert sie traurig. »Und erst nachdem wir ihn überwunden haben, können wir Gottes Vermächtnis wahrlich antreten!«
»Ja, aber zu welchem Preis?«, ist alles, was ich erwidere. Bei den nun folgenden Worten gelingt es mir nicht mehr, die Bitterkeit aus meiner Stimme zu verbannen. »Kannst du noch sagen, wie viele Sterbliche du erschlagen hast? Menschen, die wir eigentlich beschützen sollten? Und nur, weil sie dem geflüsterten Gift von Luzifers Anhängern erlegen sind, sollen sie unserer Liebe nicht mehr würdig sein?«
Awariel öffnet den Mund, um zu antworten, doch Uziels Ankunft lässt sie ihn wieder schließen. Wie üblich ist das Gesicht des mächtigen Kriegsengels reglos wie eine Maske, als er erst seine Gefährtin und dann mich in Augenschein nimmt. »Anstatt eitel zu schwätzen, solltet ihr die Umgebung im Auge behalten. Der Feind ist nahe!«, weist er uns zurecht, bevor er zum Zentrum der Marschkolonne zurückfliegt, wo am Boden auch der Zenturio eben misstrauisch die Stirn runzelt.
Mir liegt ein durchaus bissiger Kommentar auf der Zunge, doch der warnende Blick Awariels lässt ihn mich herunterschlucken. Sie hat Recht. Jetzt ist nicht die Zeit für Kabbeleien. Also hebe ich als Zeichen meiner momentanen Kapitulation nur kurz die Hände, bevor ich wieder die Umgebung im Auge behalte.
Doch der Herold fliegt nicht davon. Stattdessen weilt sie einen Moment später erneut an meiner Seite: »Esariel, ich weiß, wie schwer es deinesgleichen fällt, diese neue Pflicht zu erfüllen, aber dir muss klar sein, dass...«
Also steht mir wohl wieder einmal ein endloser Vortag über die Notwendigkeit dieses Feldzuges gegen den Erzverräter ins Haus. Als ob ich nicht alles, was sie im Begriff zu erzählen ist, nicht längst genau wüsste! Doch sie nimmt den Satz nicht wieder auf, woraufhin ich irritiert in ihre Richtung sehe, nur um einen Moment später selbst den Grund für ihr Schweigen zu erspüren.
Erklärungen sind nicht notwendig. Augenblicklich sinke ich zu Boden, um nur wenige Herzschläge später zwischen den Auxiliaren zu wandeln. Auch Awariel sucht Deckung und dämpft ihre Ausstrahlung, wie ich es zuvor ebenso getan habe. Vermutlich haben unsere wahren Feinde die Gegenwart anderer Engel sowieso schon erkannt, aber das war von Anfang an der Plan. Einzig Uziel schwebt mit stolz vorgerecktem Kinn über der Marschkolonne, ein leuchtendes Ebenbild der Selbstsicherheit.
Eine Weile passiert gar nichts. In seliger Unwissenheit setzen die Auxiliare einen Fuß vor den anderen und kümmern sich nur um die mögliche Gefahr durch einen Überfall ihrer ehemaligen Stammesbrüder. Zwei Stunden Marsch noch, dann steht für sie die Errichtung des Nachtlagers an.
Als der Angriff letztlich erfolgt, geschieht dies mit einer Heftigkeit, die den Auxiliaren kaum Zeit zum Reagieren lässt. Unvermittelt stürmen von beiden Seiten Germanen brüllend aus dem Unterholz und werfen sich mit wahrer Todesverachtung auf ihren schwergerüsteten Feind. Die Kommandos des Zenturios gehen im Geschrei beinahe gänzlich unter. Nur dem endlosen Drill der Legion ist es zu verdanken, dass die Linie der römischen Söldner nicht sofort bricht.
Zwar tragen nur die wenigsten der angreifenden Männer und Frauen irgendeine Form von Rüstung, was aber der Wildheit ihrer Attacke keinen Abbruch tut. Mit schierer Masse drängen sie gegen ihren verhassten Feind und bald schon fordern Schwerter, Äxte und Speere die ersten Opfer auf beiden Seiten.
Es fällt mir erstaunlich leicht, nicht einzugreifen. Einst hätte mich ein Massaker wie dieses in Verzweiflung gestürzt, aber die Tage, an denen ich schützend eine Hand über einen Sterblichen hielt, sind lange vorbei. Heutzutage hat kein Mensch mehr einen Schutzengel, dafür sind zu wenige von uns übrig.
Uziels zynischer Plan geht auf, wie sich nach einigen Momenten zeigt: Ein halbes Dutzend Angehöriger der niederen Chöre erscheint am Waldrand, aber keiner der Verräter verschwendet Zeit damit, sich um den Verlauf des Gefechts der Sterblichen zu kümmern.
Ihr Augenmerk liegt auf dem immer noch über der Gemetzel schwebenden Kriegsengel, der bisher bemerkenswert passiv geblieben ist. Alleine hätte keiner von ihnen eine Chance gegen Uziel, doch nun breiten sie vereint die Schwingen aus, um sich auf ihn zu stürzen. Zorn, Angst und Hass, die hochkochenden Emotionen der Schlacht, lassen sie dabei den Rest der Engelsrotte übersehen, die wir uns zwischen den Sterblichen verbergen.
Uziel liefert eine bemerkenswerte Darbietung ab, bedenkt man, dass er im Regelfall eher über die mimischen Fähigkeiten eines Steins verfügt. Er manifestiert sein mannsgroßes Flammenschwert und schreit den Anhängern Luzifers eine trotzige Herausforderung entgegen, während er immer weiter in die Höhe steigt. Gleichzeitig weicht er Stück für Stück zurück, was unsere Feinde sprichwörtlich Blut wittern lässt. Jede Vorsicht fahren lassend, setzen sie nach und überfliegen alsbald den Pfad, auf dem der Kampf in der Welt der Sterblichen tobt.
Was jetzt kommt, haben wir in der Vergangenheit schon ein paar Mal erfolgreich eingesetzt und es klappt auch heute. Kaum befinden wir uns im Rücken der Verräter, geben meine Geschwister und ich unsere Tarnung auf und schießen hinter ihnen in die Höhe.
Wie der sprichwörtliche Zorn Gottes fallen wir über den Feind her, während gleichzeitig Uziel mit êinem markerschütternden Kriegsschrei nun ebenfalls zum Angriff übergeht. Sein Flammenschwert ist es auch, welches das erste Blut fordert. Der Anführer der Verräter, ein Racheengel wie Variel, wird von dem flammenumtosten Hieb nahezu in zwei Hälften gespalten. Mit einer Mischung aus Trauer und Schmerz betrachtet der Sterbende seinen Mörder einen Moment lang, bevor er stumm in die Tiefe fällt und dabei schon beginnt, sich in Staub aufzulösen.
Im Anschluss verliere ich unseren temporären Anführer aus den Augen, denn nun werden auch wir in Nahkämpfe verstrickt. Es ist wenig verwunderlich, dass ich an einen anderen Schutzengel gerate, stellen wir doch die einfachen Fußtruppen beider Fraktionen. Nur durch eine zufällige Seitwärtsbewegung entgeht meine Gegnerin der ersten Attacke und büßt lediglich einige Federn an einer Schwinge ein, wo der Hieb doch ihrem Rücken gegolten hatte.
Fauchend wendet sie sich zu mir um und greift augenblicklich an. Binnen kurzer Zeit ist der Himmel über dem am Boden tobenden Gefecht zu einem wahren Durcheinander aus durch die Luft flitzenden Leibern, herabsinkenden Federn und Kriegsrufen geworden. Von meinen Geschwistern um mich herum nehme ich noch wogende Schemen und das gelegentliche Aufblitzen himmlischer Kräfte wahr.
Meine Gegnerin führt ihre gebogene Klinge überaus kunstvoll und lässt mir nicht eine Handbreit Raum. Bald bluten sowohl sie als auch ich aus mehreren Wunden, derweil wir uns in einem tödlichen Tanz umkreisen. Wenngleich die Verletzungen sich schnell wieder zu schließen beginnen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer von uns durch Schmerz und Erschöpfung genug beeinträchtigt ist, um einen fatalen Fehler zu machen. Immer wieder prallt ihr Krummschwert auf meine Spatha, weichen wir einander aus, nur um gleich darauf mit der nächsten Serie von Attacken, Finten und Paraden erneut aufeinander loszugehen.
Der Kampf endet so abrupt, wie er begonnen hat. Unvermittelt reißt sie ihre Augen auf und erstarrt. Nur einen Lidschlag später wird sie ins Hohlkreuz gepresst, als eine blutige Schwertspitze aus ihrer Brust fährt. Ungläubig starrt sie mich einen Moment an, bevor alles Leben aus ihr weicht.
Der Stoß Variels, der nun vor mir schwebt, hat einmal mehr perfekt ihr Herz zerteilt. »Hör auf, so lange zu spielen und hilf uns, es zu Ende zu bringen!«, grinst er mich an, um sich wieder in den Kampf zu werfen.
Ich komme indes nicht umhin, den Fall meiner Gegnerin zu verfolgen, bis sie von den Sterblichen unbemerkt auf dem Boden aufschlägt und sich binnen weniger Herzschläge in Staub auflöst. Eine nicht in Worte zu fassende Traurigkeit ergreift Besitz von mir, während ich schon den Kopf hebe und einen weiteren Gegner suche. Ein Himmlischer mehr ausgelöscht! Vernichtet, ob eines uralten Streits zweier Erzengel um das Schicksal der Menschen nach Gottes Exodus.
Wir sind alle Geschwister, doch der Zwist zwischen Luzifer und Michael hat uns zu Mördern gemacht. Zwar waren es die Sterblichen, die untereinander zuerst Blut vergossen, aber wir lernten schnell, als der Streit um ihr Schicksal eskalierte.
Mit wenigen Flügelschlägen erhebe ich mich in die Höhe, bis ich die Baumkronen über mir erreiche. Am Boden kämpfen, schreien und sterben immer noch Germanen und ihre Landsleute, die nun im Sold des römischen Eindringlings stehen. Keiner von ihnen weiß, dass ihre Götter letztlich Engel aus Luzifers Gefolge sind, die in der dieser Gestalt den Menschen einen neuen Weg vorgeben wollten.
Warum Michael uns dazu bewegte, die Kontrolle über das römische Imperium zu übernehmen, habe ich erst vor relativ kurzer Zeit herausgefunden, denn der verwegene Plan unseres Anführers scheint aufzugehen. Jesus von Nazareth starb nicht umsonst am Kreuz. Seine Botschaft von Liebe und Vergebung gewinnt immer mehr Anhänger im Volke Abrahams und auch darüber hinaus.
Doch die Germanen, die eben mit den Namen Wodans und Donars auf den Lippen sterben, stehen allesamt unter der Fuchtel von Luzifers Gefolgsleuten. Mittlerweile herrschen meine verräterischen Geschwister nach Gutdünken über sie und lassen die Sterblichen oftmals auch gegeneinander kämpfen, anstatt sie in ihrer scheinbar göttlichen Rolle auf einen edleren Pfad zu leiten.
Germanien, im Jahre 185 n.Chr.
Die Wälder nördlich von Castra Regina sind ein düsteres, verwachsenes Labyrinth aus Bäumen und Sträuchern, keinesfalls vergleichbar mit etwa den weiten Ebenen südlich der Alpen. Selbst jetzt, kurz vor der Mittagsstunde, dringt kaum ein Lichtstrahl durch die dichten Baumkronen herab auf den schmalen Trampelpfad, über dem ich mit mäßigem Flügelschlag schwebe.
Meine Aufmerksamkeit gilt den Auxiliaren unter mir. Männer germanischen Blutes, die für die Aussicht auf regelmäßige Mahlzeiten und Sold, sowie die Chance auf den Erhalt des römischen Bürgerrechts in die Legion eingetreten sind. Sie marschieren seit Sonnenaufgang, kommen aber auf dem schlechten Pfad nur langsam voran. Immer wieder lassen die hundertachtzig Mann der drei entsandten Zenturien nervös den Blick schweifen, was ich ihnen nicht verdenken kann.
Denn hier, nur wenige Tagesmärsche nördlich des befestigten Kastells, hat der starke Arm Roms nahezu jegliche Kraft verloren. Jederzeit können aus dem Hinterhalt die Markomannen über die Eindringlinge herfallen. Die bewährten Taktiken der römischen Armee funktionieren im Wald nur bedingt, sodass der Ausgang eines solchen Gefechts sehr wohl in der Schwebe steht.
»Irrsinn«, murmele ich leise und setze mich mit schnellen Flügelschlägen an die Spitze der Kolonne.
Anders kann man den Zweck dieser sogenannten Strafexpedition nicht bezeichnen, die nur aufgrund einiger Viehdiebstähle entsandt wurde. Einmal mehr sollen die Germanen daran erinnert werden, dass man mit dem römischen Imperium besser keine Spielchen spielt. Aber selbst wenn ein Überfall des kaum greifbaren Feindes ausbleibt, wird es Tote geben, denn der Zenturio, der die Einheit aus dem Zentrum heraus kommandiert, hat Anweisung bekommen, zur Vergeltung die erstbesten Höfe niederzubrennen, die ihm in die Quere kommen.
Wie groß die Gefahr für sie ist, weiß indes keiner der Männer unter mir. Denn es hat einen guten Grund, dass wir abgestellt wurden, diese kleine Unternehmung zu bewachen. Wir, das sind die Mitglieder von Kalethians Kriegsrotte: Der Kriegsengel Uziel, der Herold Awariel, Variel, ein Racheengel und Belian, ein weiterer Schutzengel, wie ich es auch bin. Meine Geschwister schweben ebenfalls in der Anderswelt über den römischen Soldaten und halten wachsam Ausschau. Es sind nicht die Germanen, die uns Sorgen bereiten. Denn dieser Bereich der Welt gehört zur Domäne der Anhänger Luzifers und damit laufen die Auxiliare Gefahr, von meinesgleichen abgeschlachtet zu werden, ohne auch nur die geringste Chance auf Gegenwehr zu haben.
»Esariel, warum blickst du so grimmig drein?«, dringt die glockenhelle Stimme Awariels an mein Ohr. Betont langsam wende ich mich zu dem Herold um und hebe erst dann die Schultern. »Vielleicht behagt es mir einfach nicht, blindlings in Feindesgebiet vorzustoßen?«
Mit einer weitschweifenden Geste deute ich auf das uns umgebende Dickicht. »Hier könnten ein Dutzend der Verräter lauern, aber genau so gut eine ganze Hundertschaft!«
Awariel schürzt die Lippen und folgt meiner Geste mit den Augen. »Kalethian weiß, was er tut! Glaubst du wirklich, er würde uns in eine Falle laufen lassen? Das hier ist eine gute Gelegenheit, um an der Grenze einmal mehr aufzuräumen. Du weißt genau, dass die ewige Front nahezu zum Stillstand gekommen ist! Hundertschaften an Verrätern hat es in diesem Teil der Welt schon lange nicht mehr gegeben!«
Ihre Worte tun wenig, um meine Laune aufzubessern. »Ja, hier vergibt der Erzverräter nur Lehen an die schwächsten seiner Anhänger. Es gibt kaum Sterbliche, die man beherrschen kann und kein Prestige bei großen Schlachten zu gewinnen. Ist mir alles bekannt!«
Mit einem Flügelschlag überbrückt der hübsche Herold die verbliebene Distanz zu mir und pustet sich eine Strähne ihres goldenen Haars aus dem Gesicht. Versonnen lächelnd streicht sie mir mit dem Handrücken über eine Wange. »Du denkst zu viel nach, Bruder. Wir werden schon bald einen weiteren Sieg für Michael erringen, so gering er auch sein mag. Das ist alles, was zählt!«
»Ja. Zu gering für Kalethian, um sich dazu herabzulassen, uns zu begleiten!«, schnaube ich und trauere dabei für einen Moment dem Wohlgefühl ihrer Berührung nach.
»Er hat bei Hofe zu tun, wie üblich. Freu dich doch lieber! Er vertraut uns immerhin genug, diese Angelegenheit ohne ihn zu regeln!«, raunt sie und stellt wieder Abstand zwischen uns beiden her.
Ich komme nicht umhin, mit den Augen zu rollen. »Ich frage mich ehrlich, warum er immer noch unser Anführer ist. Seit dem Sieg über Raziels Truppen verbringt er die meiste Zeit am Hofe Michaels! Fast könnte man meinen, die Politik ist ihm wichtiger geworden, als der Kampf!«
Nun verdüstert sich das hübsche Gesicht Awariels doch ein wenig. »Du bist verbittert, mein lieber Esariel! Dabei rückt der Sieg über den Lichtbringer mit jedem Jahr näher!«, erwidert sie traurig. »Und erst nachdem wir ihn überwunden haben, können wir Gottes Vermächtnis wahrlich antreten!«
»Ja, aber zu welchem Preis?«, ist alles, was ich erwidere. Bei den nun folgenden Worten gelingt es mir nicht mehr, die Bitterkeit aus meiner Stimme zu verbannen. »Kannst du noch sagen, wie viele Sterbliche du erschlagen hast? Menschen, die wir eigentlich beschützen sollten? Und nur, weil sie dem geflüsterten Gift von Luzifers Anhängern erlegen sind, sollen sie unserer Liebe nicht mehr würdig sein?«
Awariel öffnet den Mund, um zu antworten, doch Uziels Ankunft lässt sie ihn wieder schließen. Wie üblich ist das Gesicht des mächtigen Kriegsengels reglos wie eine Maske, als er erst seine Gefährtin und dann mich in Augenschein nimmt. »Anstatt eitel zu schwätzen, solltet ihr die Umgebung im Auge behalten. Der Feind ist nahe!«, weist er uns zurecht, bevor er zum Zentrum der Marschkolonne zurückfliegt, wo am Boden auch der Zenturio eben misstrauisch die Stirn runzelt.
Mir liegt ein durchaus bissiger Kommentar auf der Zunge, doch der warnende Blick Awariels lässt ihn mich herunterschlucken. Sie hat Recht. Jetzt ist nicht die Zeit für Kabbeleien. Also hebe ich als Zeichen meiner momentanen Kapitulation nur kurz die Hände, bevor ich wieder die Umgebung im Auge behalte.
Doch der Herold fliegt nicht davon. Stattdessen weilt sie einen Moment später erneut an meiner Seite: »Esariel, ich weiß, wie schwer es deinesgleichen fällt, diese neue Pflicht zu erfüllen, aber dir muss klar sein, dass...«
Also steht mir wohl wieder einmal ein endloser Vortag über die Notwendigkeit dieses Feldzuges gegen den Erzverräter ins Haus. Als ob ich nicht alles, was sie im Begriff zu erzählen ist, nicht längst genau wüsste! Doch sie nimmt den Satz nicht wieder auf, woraufhin ich irritiert in ihre Richtung sehe, nur um einen Moment später selbst den Grund für ihr Schweigen zu erspüren.
Erklärungen sind nicht notwendig. Augenblicklich sinke ich zu Boden, um nur wenige Herzschläge später zwischen den Auxiliaren zu wandeln. Auch Awariel sucht Deckung und dämpft ihre Ausstrahlung, wie ich es zuvor ebenso getan habe. Vermutlich haben unsere wahren Feinde die Gegenwart anderer Engel sowieso schon erkannt, aber das war von Anfang an der Plan. Einzig Uziel schwebt mit stolz vorgerecktem Kinn über der Marschkolonne, ein leuchtendes Ebenbild der Selbstsicherheit.
Eine Weile passiert gar nichts. In seliger Unwissenheit setzen die Auxiliare einen Fuß vor den anderen und kümmern sich nur um die mögliche Gefahr durch einen Überfall ihrer ehemaligen Stammesbrüder. Zwei Stunden Marsch noch, dann steht für sie die Errichtung des Nachtlagers an.
Als der Angriff letztlich erfolgt, geschieht dies mit einer Heftigkeit, die den Auxiliaren kaum Zeit zum Reagieren lässt. Unvermittelt stürmen von beiden Seiten Germanen brüllend aus dem Unterholz und werfen sich mit wahrer Todesverachtung auf ihren schwergerüsteten Feind. Die Kommandos des Zenturios gehen im Geschrei beinahe gänzlich unter. Nur dem endlosen Drill der Legion ist es zu verdanken, dass die Linie der römischen Söldner nicht sofort bricht.
Zwar tragen nur die wenigsten der angreifenden Männer und Frauen irgendeine Form von Rüstung, was aber der Wildheit ihrer Attacke keinen Abbruch tut. Mit schierer Masse drängen sie gegen ihren verhassten Feind und bald schon fordern Schwerter, Äxte und Speere die ersten Opfer auf beiden Seiten.
Es fällt mir erstaunlich leicht, nicht einzugreifen. Einst hätte mich ein Massaker wie dieses in Verzweiflung gestürzt, aber die Tage, an denen ich schützend eine Hand über einen Sterblichen hielt, sind lange vorbei. Heutzutage hat kein Mensch mehr einen Schutzengel, dafür sind zu wenige von uns übrig.
Uziels zynischer Plan geht auf, wie sich nach einigen Momenten zeigt: Ein halbes Dutzend Angehöriger der niederen Chöre erscheint am Waldrand, aber keiner der Verräter verschwendet Zeit damit, sich um den Verlauf des Gefechts der Sterblichen zu kümmern.
Ihr Augenmerk liegt auf dem immer noch über der Gemetzel schwebenden Kriegsengel, der bisher bemerkenswert passiv geblieben ist. Alleine hätte keiner von ihnen eine Chance gegen Uziel, doch nun breiten sie vereint die Schwingen aus, um sich auf ihn zu stürzen. Zorn, Angst und Hass, die hochkochenden Emotionen der Schlacht, lassen sie dabei den Rest der Engelsrotte übersehen, die wir uns zwischen den Sterblichen verbergen.
Uziel liefert eine bemerkenswerte Darbietung ab, bedenkt man, dass er im Regelfall eher über die mimischen Fähigkeiten eines Steins verfügt. Er manifestiert sein mannsgroßes Flammenschwert und schreit den Anhängern Luzifers eine trotzige Herausforderung entgegen, während er immer weiter in die Höhe steigt. Gleichzeitig weicht er Stück für Stück zurück, was unsere Feinde sprichwörtlich Blut wittern lässt. Jede Vorsicht fahren lassend, setzen sie nach und überfliegen alsbald den Pfad, auf dem der Kampf in der Welt der Sterblichen tobt.
Was jetzt kommt, haben wir in der Vergangenheit schon ein paar Mal erfolgreich eingesetzt und es klappt auch heute. Kaum befinden wir uns im Rücken der Verräter, geben meine Geschwister und ich unsere Tarnung auf und schießen hinter ihnen in die Höhe.
Wie der sprichwörtliche Zorn Gottes fallen wir über den Feind her, während gleichzeitig Uziel mit êinem markerschütternden Kriegsschrei nun ebenfalls zum Angriff übergeht. Sein Flammenschwert ist es auch, welches das erste Blut fordert. Der Anführer der Verräter, ein Racheengel wie Variel, wird von dem flammenumtosten Hieb nahezu in zwei Hälften gespalten. Mit einer Mischung aus Trauer und Schmerz betrachtet der Sterbende seinen Mörder einen Moment lang, bevor er stumm in die Tiefe fällt und dabei schon beginnt, sich in Staub aufzulösen.
Im Anschluss verliere ich unseren temporären Anführer aus den Augen, denn nun werden auch wir in Nahkämpfe verstrickt. Es ist wenig verwunderlich, dass ich an einen anderen Schutzengel gerate, stellen wir doch die einfachen Fußtruppen beider Fraktionen. Nur durch eine zufällige Seitwärtsbewegung entgeht meine Gegnerin der ersten Attacke und büßt lediglich einige Federn an einer Schwinge ein, wo der Hieb doch ihrem Rücken gegolten hatte.
Fauchend wendet sie sich zu mir um und greift augenblicklich an. Binnen kurzer Zeit ist der Himmel über dem am Boden tobenden Gefecht zu einem wahren Durcheinander aus durch die Luft flitzenden Leibern, herabsinkenden Federn und Kriegsrufen geworden. Von meinen Geschwistern um mich herum nehme ich noch wogende Schemen und das gelegentliche Aufblitzen himmlischer Kräfte wahr.
Meine Gegnerin führt ihre gebogene Klinge überaus kunstvoll und lässt mir nicht eine Handbreit Raum. Bald bluten sowohl sie als auch ich aus mehreren Wunden, derweil wir uns in einem tödlichen Tanz umkreisen. Wenngleich die Verletzungen sich schnell wieder zu schließen beginnen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer von uns durch Schmerz und Erschöpfung genug beeinträchtigt ist, um einen fatalen Fehler zu machen. Immer wieder prallt ihr Krummschwert auf meine Spatha, weichen wir einander aus, nur um gleich darauf mit der nächsten Serie von Attacken, Finten und Paraden erneut aufeinander loszugehen.
Der Kampf endet so abrupt, wie er begonnen hat. Unvermittelt reißt sie ihre Augen auf und erstarrt. Nur einen Lidschlag später wird sie ins Hohlkreuz gepresst, als eine blutige Schwertspitze aus ihrer Brust fährt. Ungläubig starrt sie mich einen Moment an, bevor alles Leben aus ihr weicht.
Der Stoß Variels, der nun vor mir schwebt, hat einmal mehr perfekt ihr Herz zerteilt. »Hör auf, so lange zu spielen und hilf uns, es zu Ende zu bringen!«, grinst er mich an, um sich wieder in den Kampf zu werfen.
Ich komme indes nicht umhin, den Fall meiner Gegnerin zu verfolgen, bis sie von den Sterblichen unbemerkt auf dem Boden aufschlägt und sich binnen weniger Herzschläge in Staub auflöst. Eine nicht in Worte zu fassende Traurigkeit ergreift Besitz von mir, während ich schon den Kopf hebe und einen weiteren Gegner suche. Ein Himmlischer mehr ausgelöscht! Vernichtet, ob eines uralten Streits zweier Erzengel um das Schicksal der Menschen nach Gottes Exodus.
Wir sind alle Geschwister, doch der Zwist zwischen Luzifer und Michael hat uns zu Mördern gemacht. Zwar waren es die Sterblichen, die untereinander zuerst Blut vergossen, aber wir lernten schnell, als der Streit um ihr Schicksal eskalierte.
Mit wenigen Flügelschlägen erhebe ich mich in die Höhe, bis ich die Baumkronen über mir erreiche. Am Boden kämpfen, schreien und sterben immer noch Germanen und ihre Landsleute, die nun im Sold des römischen Eindringlings stehen. Keiner von ihnen weiß, dass ihre Götter letztlich Engel aus Luzifers Gefolge sind, die in der dieser Gestalt den Menschen einen neuen Weg vorgeben wollten.
Warum Michael uns dazu bewegte, die Kontrolle über das römische Imperium zu übernehmen, habe ich erst vor relativ kurzer Zeit herausgefunden, denn der verwegene Plan unseres Anführers scheint aufzugehen. Jesus von Nazareth starb nicht umsonst am Kreuz. Seine Botschaft von Liebe und Vergebung gewinnt immer mehr Anhänger im Volke Abrahams und auch darüber hinaus.
Doch die Germanen, die eben mit den Namen Wodans und Donars auf den Lippen sterben, stehen allesamt unter der Fuchtel von Luzifers Gefolgsleuten. Mittlerweile herrschen meine verräterischen Geschwister nach Gutdünken über sie und lassen die Sterblichen oftmals auch gegeneinander kämpfen, anstatt sie in ihrer scheinbar göttlichen Rolle auf einen edleren Pfad zu leiten.
Leider sind noch keine Bewertungen vorhanden. Seien Sie der Erste, der das Produkt bewertet.